Homo Deludens – Cheating als methodisches
Werkzeug in der Computerspielforschung

Abstract

The aim of this paper is to show up ways in which the practice, or rather practices, of cheating can be integrated into the work of game researchers. Apart from the obvious ways, in which cheats can be employed, exempli grati as time-savers, it is my intention to demonstrate how cheating can actually add to our understanding of games. To this end, I study the areas of game analysis, genre, and games culture. In all these examples, I attempt to point to ways in which the practice of cheating can not only make us understand the things we already see, but also enable us to see things that have escaped our attention so far.

[1] 

Einleitung

[2] 

Im Mai 2006 schickte ich eine Nachricht an die Diskussionsliste der Digital Games Research Association (DiGRA), in der ich die Subskribenten dazu aufforderte, an einer Umfrage über die Praxis des Mogelns (Cheating) in der Computerspielforschung teilzunehmen. Dabei stellte sich heraus, dass Cheating bei den Computerspielforschern weit verbreitet ist – insbesondere die Konsultation so genannter ›Walkthroughs‹, das heißt detaillierter Anweisungen zur Überwindung von Spielhindernissen wie Rätseln und computergesteuerten Gegnern, zu der sich 48% der Befragten bekannten. [1]

[3] 

Als interessanter erwiesen sich jedoch die Diskussionen, die durch die Befragung ausgelöst wurden, zunächst auf der Diskussionsliste selbst und im Anschluss daran auf dem Gamecode-Blog. [1] In der Diskussion wurde nämlich offensichtlich, dass vielen Computerspielwissenschaftlern die Praktiken des Mogelns zwar bekannt waren, sie aber davon überrascht waren, dass diese Methoden als Teil der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen angesehen werden sollten.

[4] 

Im Bereich der Computerspielkultur ist ›Cheating‹ ein Begriff, der eine große Zahl von Praktiken beschreibt, die auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam haben. Eine der am weitesten verbreiteten Formen des Mogelns in Ein-Personen-Spielen (Single-Player Games) ist die Benutzung von Lösungsbüchern (Game Guides), Walkthroughs und Antwortkatalogen (Frequently Asked Questions oder FAQs). Diese Dokumente werden sowohl von kommerziellen Anbietern in enger Zusammenarbeit mit Spieleherstellern entwickelt als auch von den Spielern selbst.

[5] 

Eine andere weit verbreitete Form des Mogelns, insbesondere bei PC-Spielen, [2] sind die ›Cheat Codes‹, die man in Spielzeitschriften und auf Webseiten wie GameFAQs [3] findet. Diese Codes erlauben es den Spielern, Hindernisse auf ihrem Weg durch das Spiel zu überwinden und verkürzen daher die Spielzeit beträchtlich.

[6] 

In Mehr-Personen-Spielen (Multi-Player Games) wird Cheating sehr viel stärker kontrolliert – und zwar sowohl durch die Betreiber von Spiel-Servern als auch von der Spielergemeinde selbst. Denn hier beeinflusst das Mogeln ja nicht nur die Erfahrung des Cheaters selbst, sondern auch die anderer Spieler, oft in negativer Weise. Dies ist ein Problem, das sowohl in kurzlebigen Online-Spielen wie Counter-Strike und Battlefield1942 auftritt, als auch in persistenten Online-Rollenspielen (Massively Multi-Player Online Role-Playing Games, MMORPGs) wie EverQuest oder World of Warcraft.

[7] 

Die Spielbetreiber greifen dabei oft auf hoch entwickelte Anti-Cheating-Software wie PunkBuster zurück, die es schwieriger macht zu mogeln, aber keinesfalls unmöglich. In Multi-Player-Umgebungen ist das Mogeln jedoch meist verpönt und auch darin ist ein Grund dafür zu sehen, dass diese Praxis in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen bisher nur wenig Beachtung gefunden hat.

[8] 

Es ist daher kaum überraschend, dass eine der ersten Nachrichten, die ich als Reaktion auf meine Aufforderung erhielt, eine Zurechtweisung war, die sich auf meine Wortwahl bezog. Der Begriff ›Cheating‹ war anscheinend mit zu vielen negativen Konnotationen verknüpft, [3] die sich nicht mit dem Selbstverständnis der Computerspielforscher als eine ethischen Standards verpflichtete Wissenschaftlergemeinschaft in Einklang bringen ließ. Dies wurde zwar nicht explizit zum Ausdruck gebracht, aber aus dem Subtext vieler Antworten wurde deutlich, dass die Subskribenten der Diskussionsliste darauf erpicht waren, sich von den negativen Konnotationen des Begriffs zu befreien.

[9] 

Mir ging es jedoch weniger um die Integrität der Computerspielwissenschaftler als um Praktiken, die zwar in der Computerspielkultur weit verbreitet sind, aber von der Computerspielforschung bisher vernachlässigt worden sind. Damit war ich anscheinend nicht allein, denn kurz später erhielt ich eine weitere Nachricht, die die vorhergehende kritisierte, indem der Autor hervorhob, dass durch die Vernachlässigung des Mogelns ein wichtiger Teil der Computerspielkultur ausgeblendet werde. Damit wurde implizit auch darauf hingewiesen, dass die Weigerung, das Kind beim Namen zu nennen, zu einer Vermeidung des Themas führen könnte.

[10] 

Dass Cheating ein nicht zu vernachlässigendes Thema ist – sowohl in der Forschung als auch in der Computerspielkultur – wurde durch die darauf folgenden Nachrichten hervorgehoben, die versuchten, das Phänomen auf verschiedene Arten und Weisen anzugehen. Allen gemein war jedoch eine Tendenz, Cheating als ein Repertoire von Praktiken zu betrachten, die nicht wirklich im Widerspruch zu den Regeln von Spielen stehen. Dies ist insofern nachvollziehbar, als viele Praktiken – wie die Konsultation von Lösungsbüchern oder die Verwendung frei erhältlicher Cheat Codes – nicht unbedingt gegen die impliziten Spielregeln von Computerspielen verstoßen. Dabei ist jedoch auffällig, dass es immer nur diese Beispiele waren, die vorgebracht wurden, während manipulativere Praktiken in den Hintergrund gestellt wurden.

[11] 

Einer der Diskussionsteilnehmer machte darauf aufmerksam, dass der Einsatz von Cheat Codes ihm nicht das Gefühl des Mogelns vermittle. Damit wird deutlich, dass die Erfahrung des Mogelns in hohem Grad subjektiv ist. Dies wird auch von T.L. Taylor in ihrer Studie so genannter ›Power Gamers‹ hervorgehoben. Diese sehr ambitionierten Spieler werden oft als Cheater wahrgenommen, weil sie sich die Mechanismen des Spiels auf sehr effiziente Weise zu Nutze machen, um schnell eine hohe Spielstufe zu erreichen, ohne dass sie tatsächlich gegen Spielregeln verstoßen. [4]

[12] 

Zudem wurde in der Diskussion darauf verwiesen, dass Cheat Codes oft von den Entwicklern oder Vertreibern der Spiele verbreitet werden, und dass der Einsatz dieser Codes nicht als Cheating bezeichnet werden könne, weil die Autorität der Festlegung und Aufhebung von Spielregeln bei den Spielfirmen selbst liege. Vor diesem Hintergrund könne der Einsatz dieser Codes als ›Anpassung‹ des Schwierigkeitsgrades eines Spiels verstanden werden.

[13] 

Aus theoretischer Perspektive drückten einige Diskussionsteilnehmer den Wunsch aus, das Mogeln in die Regeln des Spiels selbst zu integrieren, etwa indem man es als eine Form des Handicaps betrachtet. Eine avanciertere Argumentationslinie zielte darauf ab, verschiedene ›Grade‹ des Regelbruchs zu unterscheiden, angefangen von weitgehend akzeptierten und daher ›unsichtbaren‹ Cheats (beispielsweise Walkthroughs) bis hin zu offiziell sanktioniertem Verhalten (etwa Doping im Sport). In diesem Zusammenhang wurden insbesondere die sozialen Funktionen des Mogelns hervorgehoben, etwa die Etablierung von Machtverhältnissen.

[14] 

Kurz bevor die Diskussion abflaute, kam dann noch ein entscheidender Einwand von einem Teilnehmer, der darauf hinwies, dass Mogeln durchaus eine fundamentalere Eigenschaften des Spiels sein könnte als das Spielen nach den Regeln. Diese Aussage, die meiner eigenen theoretischen Position sehr nahe steht, macht darauf aufmerksam, dass es möglich ist, das Verhältnis von Spiel und Regelbruch auch ganz anders zu sehen als es der etwas moralinsaure Ton der ersten Nachricht nahe legte. Statt also Cheating als inkompatibel mit dem Spielen [5] zu sehen, geht der Autor der späteren Nachricht davon aus, dass das Mogeln zum Spiel dazu gehört und daher dem besseren Verständnis von Spielen dienen kann.

[15] 

Wie diese kurze Zusammenfassung der Diskussion auf der DiGRA-Diskussionsliste zeigt, sind mit der Frage nach dem Mogeln in Computerspielen zahlreiche wichtige Fragen über das Wesen des Computerspiels verknüpft, etwa die Fragen nach Autorschaft, Textualität und Regelhaftigkeit. Wenn eine angeblich so marginale Praxis das Potenzial hat, solcherlei tiefgehende theoretische Fragen aufzuwerfen, dann erscheint es offensichtlich, dass sich die Computerspielforschung des Mogelns annehmen sollte. Gleichzeitig weist dies darauf hin, dass Cheats in der Forschung verwendet werden können, um zu ergründen, wie Computerspiele konstruiert sind und mit welchen Mitteln sie dekonstruiert werden können. In anderen Worten: Cheating sollte nicht nur ein Gegenstand sondern auch eine Methode der Computerspielforschung sein.

[16] 

Dabei verstehe ich den Begriff ›Methode‹ in einem doppelten Sinn. Im engeren Sinn kann man unter ›Methode‹ bestimmte Praktiken verstehen, die dazu dienen ein Phänomen zu untersuchen. Im weiteren Sinn jedoch können Methoden als Mittel der Selbstreflexion, Entdeckung und Kritik verstanden werden. Es ist dieser zweite Sinn, den Bruno Latour evoziert, wenn er seine Leser daran erinnert, dass »›where to travel‹ and ›what is worth seeing there‹ is nothing but a way of saying in plain English what is usually said under the pompous Greek name of ›method‹ or, even worse, ›methodology.‹« [6]

[17] 

Going Native

[18] 

Als Methode erlaubt das Mogeln es uns, über die unausgesprochenen und oft unbewussten Vorannahmen über Computerspiele zu reflektieren, die wir mitbringen, egal aus welcher Perspektive wir sie betrachten. Es ermöglicht es uns zudem, ›blinde Flecken‹ in unserer Betrachtungsweise zu identifizieren und so neue Herangehensweisen zu entdecken. Ein möglicherweise noch wichtigerer Aspekt ist, dass die Einbeziehung ›unorthodoxer‹ Spielformen es uns ermöglicht, Schwachstellen in den theoretischen Modellen zu identifizieren, die oft vom regelgemäßen Spiel als Normalfall ausgehen und den Regelbruch ausblenden.

[19] 

Nichtsdestotrotz sollten die Vorbehalte in der Computerspielkultur und in der Forschung gegen das Mogeln ernst genommen werden, denn im Gebrauch öffentlich verpönter Praktiken liegt immer eine Gefahr, selbst wenn diese Praktiken privat durchaus gutgeheißen werden. Es könnte sich als kontraproduktiv erweisen, sich der dominanten Computerspielkultur durch den Gebrauch von Cheats zu entfremden, selbst wenn marginale Praktiken und die Subkulturen, die um sie herum entstehen, oft die interessanteren Forschungsobjekte darstellen.

[20] 

Darüber hinaus sind Computerspielforscher natürlich selbst oft Computerspieler und mögen daher Vorbehalte gegen den Einsatz von Cheats haben, die nicht aus der Furcht vor einer Kompromittierung ihrer wissenschaftlichen Integrität resultieren, sondern daraus, dass sie zumindest teilweise in der Computerspielkultur sozialisiert worden sind. Dieses Problem wurde auch in der Diskussion auf dem Gamecode-Blog angesprochen. Wie Kelly Boudreau in ihrem Beitrag hervorhebt, ist es bedenkenswert, dass »being ›native‹ is often seen as a requirement for game studies, while it is usually frowned upon in other fields.« [4]

[21] 

In ihrer Argumentation scheint Boudreau von der impliziten Annahme auszugehen, dass die Untersuchung von Spielen mittels Cheats eine weniger direkte Erfahrung zur Folge hat als das regelgemäße Spielen. Indem sie die Arbeit des Computerspielforschers mit der eines Anthropologen vergleicht, der in einer anderen als seiner eigenen Kultur tätig ist, hebt sie hervor, dass Cheating als eine »education from the books and not from the street« betrachtet werden kann. Zwar ist es sicherlich richtig, dass Cheats es erlauben, sich schneller mit einem Spiel vertraut zu machen, aber es ist ebenso möglich, Cheating als ein Werkzeug zu betrachten, das uns tiefere Einblicke in die Funktionsweise und den Aufbau von Computerspielen ermöglicht.

[22] 

In Hinblick auf die Gefahr des ›Going Native‹ sollte hervorgehoben werden, dass Boudreau davon auszugehen scheint, dass Computerspiele vorwiegend ohne die Zuhilfenahme von Cheats gespielt werden, und dass ihre Verwendung in der Forschung daher eine Entfremdung des Wissenschaftlers von der Computerspielkultur zur Folge hat. Es ist zwar nahezu unmöglich, verlässliche Daten darüber zu erheben, wie weit die Praxis des Mogelns tatsächlich verbreitet ist, aber eine unsystematische Betrachtung von Spielzeitschriften, Cheating-Webseiten und Internetforen legt nahe, dass es sich genau umgekehrt verhält, und dass Wissenschaftler durch ihre Weigerung zu mogeln, einen wichtigen Aspekt der Spielkultur ausblenden.

[23] 

Die Diskussion auf dem Gamecode-Blog wandte sich schnell der Funktion von Cheats als Mittel zur Zeitersparnis zu. In seiner Antwort auf Boudreaus Beitrag weist Dominic Arsenault etwa darauf hin, dass es jemandem, der keine Erfahrung mit so genannten First-Person Shooters [7] hat, und der einen Unsichtbarkeits-Cheat verwendet um durch das Spiel zu kommen, nicht möglich ist zu ermessen, wie viel Mühe es normalerweise kostet, zum Ende eines solchen Spiels zu kommen (siehe [1]). Dieser Kommentar ist charakteristisch für eine instrumentalistische Einstellung gegenüber Cheats, die viele Computerspielforscher teilen. Ich möchte hingegen darauf hinweisen, dass Cheating auch einen ästhetischen Aspekt hat und dass es eine Praxis ist, die ebenso autotelisch sein kann wie das Spiel selbst. [8]

[24] 

Der Erfahrungsaspekt des Mogelns ist jedoch eng mit seinem ethischen Aspekt verknüpft. Wie Sal Humphreys in ihrem Beitrag zu der Diskussion hervorhebt, sind die Erkenntnisse, die durch Cheats gewonnen werden, »not more or less valid« als die Erkenntnisse, die ohne dieses Hilfsmittel gewonnen werden, sie sind »just different« [1]. Das heißt aber auch, dass trotz aller Vorteile des Mogelns immer noch die Frage besteht, ob Cheating als legitime Methode betrachtet werden kann, insbesondere im Bereich der Multi-Player-Spiele.

[25] 

Dies ist offensichtlich eine Frage, die hier nur aufgeworfen, aber keinesfalls beantwortet werden kann. Dieser Artikel hat daher in erster Linie das Ziel eine Debatte über die Rolle des Mogelns in der Computerspielforschung anzustoßen, die schon lange überfällig ist. Zwar haben Wissenschaftler wie Espen Aarseth versucht, das Thema zur Sprache zu bringen, aber allzu oft wird dabei vor allem mit moralischen Argumenten argumentiert. So gibt Aarseth etwa zu bedenken:

[26] 
[W]hile it is understandable that academics with not too much time on their hands […] give in to the temptation to zip through a game [...] using the walkthrough, or (even worse) using […] cheats, it is hard to imagine excellence of research arising from such practices. [9]
[27] 

Wie Boudreau betrachtet Aarseth Cheats primär als Mittel zur Zeitersparnis, die es hart arbeitenden Computerspielforschern ermöglichen, durch ein Spiel zu ›sausen‹, statt sich Dutzende oder gar Hunderte von Stunden damit abzumühen, die richtige Lösung durch Versuch und Irrtum herauszufinden. Dabei lässt er außer Acht, dass Cheats dazu benutzt werden können, die Struktur eines Spiels zu entblößen oder seine Ästhetik besser zu verstehen. Er lässt jedoch noch einen wichtigeren Aspekt außer acht: nämlich, dass die Art und Weise ein Spiel zu spielen, bei einer wissenschaftlichen Untersuchung davon abhängen kann, ob das Spiel selbst, ein Genre oder die Kultur des Spiels im Mittelpunkt steht. In all diesen Fällen kann Cheating zu einem besseren Verständnis des untersuchten Phänomens beitragen.

[28] 

In den folgenden Abschnitten will ich daher versuchen auszuloten, auf welche Weisen Cheating als Methode in der Computerspielforschung eingesetzt werden kann. Am Anfang dieser Betrachtung steht ein Überblick darüber, wie Cheats dazu benutzt werden können, tiefere Bedeutungsebenen eines Spiels zu erschließen, wobei ich mich auf meine Arbeit über das Spiel Deus Ex beziehen werde. Im Anschluss daran wird untersucht, wie Cheating zu einem besseren Verständnis von Spielgenres beitragen kann. Dabei bildet eine Typologie aus meiner Arbeit über Literaturtheorie und Computerspiel den theoretischen Rahmen. [10] Den Abschluss bildet eine Erörterung der Frage, wie Cheats zu neuen Erkenntnissen über Computerspielkulturen führen können, wobei Multi-Player-Spiele und MMORPGs im Mittelpunkt stehen werden.

[29] 

Cheating in der Spielanalyse

[30] 

Was bedeutet es ein Computerspiel ›durchzuspielen‹? Ist es beendet, wenn der Abspann [11] läuft? Wenn man das Spiel auf der höchsten Schwierigkeitsstufe bis zum Ende gespielt hat? Oder wenn man ein 100%-Rating erhält? In zeitgenössischen Computerspielen erscheint es oft so, als ob man nie zu einem Ende kommen könne, so dass man nie sicher sein kann, alles gesehen zu haben. Daraus ergeben sich methodologische Probleme in der Computerspielforschung, welche noch durch die Fluidität ihrer textuellen Form verschärft werden, die aus dem unaufhörlichen Strom von Updates, Patches [12] und Erweiterungsmodulen resultiert.

[31] 

Es sieht so aus, als ob die Computerspielanalyse sich nur tastend an ihren Gegenstand annähern kann – so wie in der Legende von den sechs blinden Männer, die versuchen einen Elefanten zu beschreiben. Ein großer Teil der methodologischen Debatten in den Game Studies der letzten Jahre kann darauf zurückgeführt werden, dass Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen dazu tendieren, unterschiedliche Teile von Computerspieln zu betrachten und andere zu vernachlässigen. So hebt die so genannte ludologische Schule [13] meist die Spielmechanik hervor, während Literatur- und Filmwissenschaftler sich auf narrative Strukturen in Spielen konzentrieren.

[32] 

Cheating ermöglicht es nicht nur, verschiedene Teile von Spielen in den Blick zu nehmen, sondern auch, diejenigen Teile, die wir schon kennen, in einem anderen Licht zu sehen. Dies trifft sowohl bei Single-Player-Spielen mit einer linearen oder sich verzweigenden Handlungsstruktur wie Halo oder Half-Life zu, als auch bei Rollenspielen wie Neverwinter Nights oder Knights of the Old Republic und bei Adventure Games wie Grim Fandango oder Broken Sword: The Shadow of the Templars. Ich werde dies am Beispiel von Deus Ex zeigen.

[33] 

Dabei sollte jedoch betont werden, dass ich bereits mit dem Spiel vertraut war, als ich meine Experimente mit Cheats als Methode der Spielanalyse begann, da ich das Spiel sowohl in seiner PC- als auch in seiner Konsolenversion (Sony PlayStation2) gespielt hatte. Wenn das Analyseziel in einem ›deep reading‹ eines Spiels besteht, führt kein Weg daran vorbei, sich zunächst auf konventionelle Weise mit dem Spiel auseinanderzusetzen, auch wenn dies bei Ansteigen des Schwierigkeitsgrades unweigerlich zu Frustrationserlebnissen führt. Cheats sollten erst dann eingesetzt werden, wenn man sich bereits mit der Spielmechanik, der Handlung und den Charakteren vertraut gemacht hat.

[34] 

Obwohl mein primäres Interesse darin bestand, Cheats in Deus Ex zur Veränderung der Erfahrung des Spielraums (Gamespace) zu verwenden, wurde schnell deutlich, dass Cheating zahlreiche andere Möglichkeiten zur Interaktion mit dem Spiel eröffnete. Abgesehen von den häufig in diesem Genre anzutreffenden Cheats, die es dem Charakter ermöglichen zu fliegen (Fly-Mode) und durch Wände zu gehen (No-Clip Mode) zeigte allein schon die große Anzahl an verfügbaren Cheats neue Betrachtungsweisen für das Spiel auf. In diesem Fall waren es zum Beispiel die Aspekte ›Selbst-Referenzialität‹, ›Meta-Spiel‹, ›Intertextualität‹ und ›Technizität‹, die weiter unten noch näher ausgeführt werden.

[35] 

In Hinsicht auf den Gamespace kann Cheating dem Computerspielforscher in der Tat ein Aha-Erlebnis bescheren, insbesondere in 3D-Spielen. Die Kunst des Level-Designs besteht ja darin, eine Balance zwischen der Bewegungsfreiheit des Spielers und den topologischen Beschränkungen [14] des Spielraums zu finden, so dass der Spielercharakter, der so genannte Avatar, subtil in die gewünschte Richtung gelenkt wird. In Deus Ex gibt es häufig mehrere Wege das Level-Ziel zu erreichen, wobei einer der Wege oft wesentlich umständlicher ist als die anderen, und die Fähigkeiten des Spielers, sich zu tarnen und anzuschleichen in den Vordergrund stellt. Cheating kann dazu dienen, diesen Gameplay [15]-Mechanismus zu offenbaren und so auch die räumliche Analyse zu erleichtern.

[36] 

Meine ersten Experimente mit Cheat-Codes in Deus Ex hatten oft recht surreale Ergebnisse. Einer der Codes, die ich zu Beginn häufig verwendete war der ›Spawnmass‹-Cheat, [16] der es dem Spieler erlaubt, eine beliebige Anzahl von Gegenständen (Items) und Charakteren zu erschaffen. Wenn der Spieler etwa in der Nähe des Piers von Liberty Island, wo das Spiel beginnt, »spawnmass cat 99« eingibt, sieht er 99 Katzen, die auf dem Wasser wie auf einem Trampolin auf und ab hüpfen, da das Wasser augenscheinlich mit dem Parameter der Flexibilität ausgestattet ist.

[37] 

Auch wenn dies zunächst albern wirken mag, hat diese Art und Weise mit dem Spiel zu interagieren doch den wichtigen Effekt, die Denaturalisierung des Gamespace, die durch die Verwendung von Cheats erfolgt, zu illustrieren, und konterkariert so die mannigfaltigen Darstellungsstrategien, die darauf abzielen den Spielraum als real erscheinen zu lassen. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, [17] hängt der Realismus von 3D-Spielen ja nicht nur von der grafischen Darstellung der Umgebung, der Charaktere und Gegenstände im Spiel ab, sondern auch vom realistischen Verhalten dieser Entitäten. Ein deutlicheres Zeichen dafür, dass der Gamespace nicht so real ist wie es den Anschein hat, als ein Rudel hüpfender Katzen, ist wohl nur schwer vorstellbar.

[38] 

In ähnlicher Weise funktionieren die oben bereits angesprochenen Fly-Mode- und No-Clip-Mode-Cheats. Diese Cheats entziehen dem Avatar buchstäblich den festen Boden unter den Füßen, indem sie jede scheinbar solide Fläche einschließlich des Bodens permeabel machen. Die daraus resultierende Desorientation des Spielers macht deutlich, dass die topologischen Begrenzungen des Spielraums nicht nur Einschränkungen des spielerischen Handlungsdrangs darstellen, sondern auch einen Rahmen für die Spielhandlung bieten, ohne den diese unverständlich bleiben müsste.

[39] 

Auf diese Art und Weise entblößen Cheats einen der elementarsten Spielmechanismen, nämlich das dialektische Verhältnis zwischen der Ausübung von Kontrolle und der Unterwerfung unter die Kontrolle des Spiels. So weisen Salen und Zimmerman etwa darauf hin, dass die Spielbarkeit (Playability) eines Spiels in einem gewissen Maß von der Bewegungsfreiheit abhängt, die ein Regelapparat zulässt. [18] Während des Spiels werden die Begrenzungen des Spielraums oft als willkürliche Einschränkungen der spielerischen Bewegungsfreiheit wahrgenommen. Sobald der Gamespace aber durch den Einsatz von Cheats transzendiert wird, wird deutlich, dass nur durch diese Begrenzungen ein sinnvolles Spielen möglich ist.

[40] 

Cheats können zudem als Hinweise auf den Produktionsprozess eines Spiels betrachtet werden, da sie oft von den Spielentwicklern benutzt werden, um bestimmte Aufgaben zu erleichtern, so wie den schnellen Wechsel von einem Level zum nächsten. Cheats erlauben daher oft einen Blick auf einen früheren Entwicklungsstand eines Spiels. Darüber hinaus betonen sie die Fluidität des Spieltexts, indem sie darauf aufmerksam machen, dass der Code eines Spiels während der Produktion ständig im Fluss ist, und dass dies oft selbst nach Abschluss der Produktionsphase noch der Fall ist.

[41] 

In diesen Spuren der poiesis eines Spiels findet sich auch ein Element der Selbstreferenzialität. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn die Cheat-Codes selbst Zeichen enthalten, die sich nicht auf eine Entität in der Spielwelt beziehen, sondern auf Entitäten in der realen Welt. Ein Beispiel dafür ist der ›Iamwarren‹-Cheat in Deus Ex, der ein elektromagnetisches Feld generiert, welches dazu dient, gegnerische Roboter abzuwehren. Warren ist jedoch auch der Name eines der Lead-Designer des Spiels, Warren Spector. Es ist wohl kaum zu weit hergeholt zu behaupten, dass dies eine subtile Art und Weise ist auktoriale Kontrolle auszuüben. Indem der Spieler den Cheat benutzt und gleichzeitig den Namen seines Schöpfers evoziert, affirmiert der Spieler die Autorität Spectors in der Welt des Spiels. [19]

[42] 

Andere Cheats beziehen sich implizit oder explizit auf andere fiktionale Texte. Ein gutes Beispiel dafür ist der ›Thereisnospoon‹-Cheat in Deus Ex, der alle Texturen [20] im Spiel durch schwarze Flächen ersetzt, auf denen fluoreszierende alphanumerische Zeichen herabflimmern – ein Stil, der mit der Bildsprache der Matrix-Trilogie der Wachowski-Brüder assoziiert ist. Dabei ist wiederum die Art und Weise signifikant, auf welche der Cheat aktiviert wird. Denn die Worte »There is no spoon« beziehen sich auf einen Dialog zwischen dem Matrix-Protagonisten Neo mit einem kleinen Jungen, den er in der Wohnung des von Gloria Foster gespielten Orakels trifft. Zwar verfügt Deus Ex über einen deutlich von The Matrix inspirierten Subtext, doch diese intertextuelle Verknüpfung kann nur durch Cheats bestätigt werden.

[43] 

Vor diesem Hintergrund erscheint es offensichtlich, dass Cheats bei der Analyse von Computerspielen zusätzliche Bedeutungsebenen aufdecken können, die sonst verborgen bleiben würden. Oft handelt es sich dabei nur um geringfügige Details, doch in manchen Fällen, können diese Details von großer Bedeutung sein. In einigen Fällen kann es sogar vorkommen, dass Cheating zu neuen Betrachtungsweisen eines Spiels führt.

[44] 

Genre-spezifische Cheats

[45] 

Bei näherer Betrachtung erweisen sich Cheats als erstaunlich stabile Genrecharakteristika und sie können daher zur Genrebestimmung bei Computerspielen dienen. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, [21] können Computerspielgenres auf einer Dreiecksmatrix abgebildet werden, wobei die Parameter der Narrativität, Interaktivität und Indeterminanz (Offenheit) [22] die Spitzen des Dreiecks bilden.

[46] 

In Adventure-Spielen wie Monkey Island oder Grim Fandango, die sich durch eine weitgehend lineare Handlungsstruktur und die Verwendung von Rätseln als primäres Agens der Retardation auszeichnen, ist der Grad der Narrativität oft wesentlich höher als in anderen Spielgenres, während der Grad der Interaktivität und Indeterminanz aufgrund des geringen Spieltempos und des schmalen Handlungsspektrums vergleichsweise gering sind. Es ist daher wenig überraschend, dass die Cheats, die man im Adventure-Genre findet, in erster Linie darauf abzielen, narrative Hindernisse zu beseitigen, entweder in Form von Walkthroughs oder durch ›Teleportation‹ in einen späteren Spielabschnitt.

[47] 

Action-Spiele wie Quake oder Halo verfügen meist über einen hohen Grad an Interaktivität, während Narrativität und Indeterminanz nur gering ausgeprägt sind. Typische Cheats für Action-Spiele erhöhen den Grad der Interaktivität, indem sie die Avatare unverwundbar machen, sie mit großen Mengen Munition ausstatten oder ihnen Zugang zu den besten Waffen verschaffen. Dies führt meist dazu, dass der Spieler nicht darauf warten muss ›wiedergeboren‹ (respawned) zu werden, so dass das Niveau der affektiven Immersion hoch bleibt.

[48] 

Simulationsspiele wie SimCity, die versuchen komplexe Prozesse modellhaft abzubilden, haben oft einen hohen Grad an Indeterminanz und einen vergleichsweise geringen Grad an Narrativität und Interaktivität. Die Makronarrative von Spielen wie Civilization umspannen zwar oft Jahrtausende, aber dies hat nur einen geringen Einfluss auf das Gameplay, da der Spieler ständig mit dem Mikro-Management von Städten, Landwirtschaft und dem Militär beschäftigt ist. Oft sind Simulationsspiele rundenbasiert, so dass der Grad der Interaktivität (das heißt die Frequenz seiner Interaktionen) letztendlich vom Spieler bestimmt werden kann. Der Mangel an Ressourcen stellt die einzige Begrenzung des Grades der Indeterminanz dar, und daher ist es nicht überraschend, dass Cheats für Simulationsspiele dieses Problem dadurch lösen, dass sie den Spieler mit Spielwährung versorgen.

[49] 

Computerrollenspiele (Role-Playing Games, RPGs) vereinigen einen hohen Grad an Indeterminanz mit narrativer Progression, weshalb die Cheats für dieses Genre eine Mischung aus Simulationsspiel-Cheats und Adventure-Game-Cheats darstellen. Auch wenn die meisten Plots von RPGs linear sind, weisen ihre Handlungsstränge häufig optionale Abzweigungen (Sub-Quests) auf, die die subjektive Indeterminanz erhöhen. Rollenspiel-Cheats versorgen die Spielercharaktere oft mit Gegenständen, die für das Fortschreiten der Handlung notwendig sind, oder sie erhöhen die Werte [23] der Spielcharaktere.

[50] 

Strategiespiele, insbesondere echtzeitbasierte [24] Strategiespiele (Real-Time Strategy Games, RTS) wie Command & Conquer oder Age of Empires, vereinigen Indeterminanz mit Interaktivität. Sie verlangen von den Spielern meist schnelle taktische Entscheidungen, bei denen jedoch der strategische Kontext nicht außer acht gelassen werden darf. Strategiespiel-Cheats lösen dieses Dilemma, indem sie Spielern Zugang zu besseren Waffen verschaffen oder indem sie ihnen eine Veränderung der Regeln erlauben. Einige Titel der Command & Conquer-Serie werden sogar mit einer Regel-Datei ausgeliefert, in der direkt Manipulationen an den Spielparametern vorgenommen werden können.

[51] 

Dieser allgemeine Überblick über genrespezifische Cheats kann natürlich nicht alle Genres und Sub-Genres in Betracht ziehen, aber er macht darauf aufmerksam, dass jedes Genre ein Repertoire von Cheats hat, die teilweise so stark konventionalisiert sind, dass sie von den Spielern erwartet werden. So sagt der Spieleproduzent Gordon Walton in Hinsicht auf The Sims Online etwa: »If you leave a cheat long enough, it becomes part of the culture of the game.« [25] Auch dies weist darauf hin, dass Cheats ein wichtiger Genreindikator sein können.

[52] 

Cheating und Computerspielkultur

[53] 

Spiele basieren auf Regeln und die Existenz von Regeln impliziert immer auch deren Bruch. So merkt Bowyer [26] etwa an:

[54] 
[T]he first recorded example of cheating occurred on or about 2500 bc in the Nile valley […]. There on the wall of a forty-five-centuries-old burial chamber is a tomb painting that depicts the oldest known con game. […] When modern con artists do it to separate a sucker from his money, they call it the shell game (10).
[55] 

Im Lauf der Jahrhunderte wurden immer ausgetüfteltere Methoden des Mogelns erfunden. Bekannt ist etwa die Geschichte des ›Schachtürken‹, der als mechanischer Schachroboter präsentiert wurde, während sich eigentlich ein Mensch darin verbarg. [27] Im Jahr 1888 erfand P.J. »Lucky Dutchman« Kepplinger die nach ihm benannte Maschine zum Mogeln beim Kartenspiel, die von Bowyer als »contraption of wires, cords, pulleys, an adjustable tube, a metal plate, a hook, a false sleeve cuff, and a hold-out slide« [28] beschrieben wird, und die es dem Spieler ermöglichte Karten auszutauschen, indem er die Beine verschränkte.

[56] 

Heutzutage, in der Ära der Computerspiele, scheint das Mogeln so weit verbreitet zu sein wie eh und je. Zeitschriften wie Cheats and More und PSX Cheats and Codes Hacker widmen sich ausschließlich der Veröffentlichung von Cheats und die meisten anderen Computerspielzeitschriften reservieren zumindest einige Seiten für die neuesten Mogeleien. Darüber hinaus werden große Mengen von Cheats in Form von Büchern publiziert – etwa in der quartalsweise erscheinenden Serie Cheats & Codes von Prima Publishing oder der halbjährlichen Serie Secret Codes von Brady Games. Und natürlich stellt das Internet eine unerschöpfliche Quelle von Cheats dar.

[57] 

Allerdings bezieht sich der größte Teil der dort veröffentlichten Cheats auf Single-Player-Spiele – und auf diesen Bereich habe ich mich bisher auch in dieser Betrachtung konzentriert. Cheating in Multi-Player-Spielen kann nicht aus einer rein ästhetischen Perspektive betrachtet werden, da es im Mittelpunkt von kontroversen ethischen, [29] rechtlichen [30] and ökonomischen [31] Diskursen steht.

[58] 

Wie Consalvo hervorhebt, gibt es in der Computerspielkultur unterschiedliche Einstellungen gegenüber Cheating, angefangen von den ›Puristen‹, die »strategy guides, walkthroughs, cheat codes and hacking« als Regelbruch betrachten, über ›Pragmatiker‹, die Lösungsbücher als legitim ansehen, nicht aber Cheat-Codes und das Hacken von Spiel-Servern. Am oberen Ende des Spektrums findet man Spieler, die nur dann von Cheating sprechen, wenn dadurch andere Spieler übervorteilt werden. [32]

[59] 

In der Forschung über MMOGs stößt man immer wieder auf Betrachtungen über ›Grief Play‹. [33], [34] Grief Play oder ›Griefing‹ wird als »play styles where the player […] purposefully engages in activities to disrupt the gaming experience of other players« definiert, deren Motivation darin besteht Macht und Überlegenheit über andere Spieler zu demonstrieren. Dabei gibt es natürlich zahlreiche Grenzfälle, bei denen es schwierig ist zu entscheiden, ob es sich um Grief Play handelt oder lediglich um Verhalten, das von anderen Spielern als störend oder ungewöhnlich empfunden wird. [35]

[60] 

Dies wird auch in der Studie von Wright et alii [36] über kreatives Spielerverhalten in CounterStrike hervorgehoben. Dabei betrachten sie auch Exploits, [37] die es ›toten‹ [38] Teammitgliedern erlauben mit den ›lebenden‹ zu kommunizieren:

[61] 
[A] fellow CT [counter-terrorist] member who is ›dead‹ [...] uses the vote command to place the following vote, ›vote Tom Tunnel‹. The server issues an automatic response, ›Sorry, DeadEar, Tom Tunnel was not found on this server.‹ [39]
[62] 

›Tom Tunnel‹ fungiert dabei als kodierte Botschaft, mittels derer einem der noch lebenden Team-Mitglieder die beste Angriffsstrategie übermittelt wird.

[63] 

Dieser kurze Überblick macht bereits deutlich, dass Cheats, Hacks, Exploits und Grief Play ein integraler Bestandteil der Computerspielkultur sind. Während jedoch die ethischen Fragen, die sich daraus ergeben, immer stärker in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung rücken, werden die rechtlichen und ökonomischen Implikationen des Mogelns immer noch nicht in ausreichender Breite diskutiert. Es bedarf also eines interdisziplinären Ansatzes, um den Kontext dieser Aktivitäten herauszuarbeiten.

[64] 

Einen ersten Ansatzpunkt dafür liefert Zetterström mit seiner Studie von Cheating aus rechtlicher Perspektive. [40] Dabei weist er auf rechtliche Instrumente hin, die im Kampf gegen Cheating eingesetzt werden können, darunter auch das Urheber- und Markenrecht. Seine Darstellung folgt dabei der gängigen Lehrmeinung und er hebt hervor, dass »creating cheats is a clear violation of the copyright«, [41] etwa wenn die Hersteller von Cheating-Software an der Spiel-Software Änderungen vornehmen, ohne die Erlaubnis des Rechteinhabers einzuholen. Darüber hinaus behauptet er: » [C]reating, spreading and utilizing hacks for a game violate the authors’ moral rights, as the use of hack alters the game play derogatory [sic]«, [42] da dies gegen den »spirit of the game« verstößt.

[65] 

Im Zusammenhang mit Verletzungen des Markenrechts weist er auf den Fall des Online-Spiels Diablo hin, das kurz nach seinem Launch von Cheatern überrannt wurde. [43] Wie er hervorhebt, ist es unter den Bestimmungen der Welthandelsorganisation zum geistigen Eigentum [44] ein Verstoß gegen das Markenrecht, einen Markennamen zu benutzen, an dem man keine Rechte besitzt, allerdings nur dann, wenn dies »in the course of trade« [45] geschieht. Ihm zufolge fallen beispielsweise diejenigen Betreiber von Websites unter diese Bestimmung, die eine Gebühr für das Herunterladen von Cheating-Software erheben.

[66] 

Das Problem an dieser Betrachtungsweise ist, dass sie die gängige Interpretation des Urheberrechts zu Grunde legt, die eng mit dem Konzept des Urhebers als Originalgenie verknüpft ist. Computerspiele werden dabei als originelle Schöpfungen betrachtet, während sie in Wirklichkeit oft höchst derivativ sind. Sowohl in Bezug auf ihren Code als auch hinsichtlich ihrer Plots und ihrer Darstellungen schöpfen Spiele oft aus dem kulturellen Gemeingut. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass gerade Massively-Multiplayer-Games zu einem großen Teil durch die Arbeit von Spielern erst zu Spielen werden. [46]

[67] 

Für Wissenschaftler, die Feldforschung in MMOGs betreiben, bedeutet dies, dass sie genauso wie alle anderen Spieler in die rechtlichen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen dieser Spiele eingebunden sind. Aber sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass im Zuge des ›Going Native‹ die Gefahr besteht, diese Rahmenbedingungen zu naturalisieren. Es ist nahe liegend Cheating und Grief Play einfach als deviante Formen des Spiels zu sehen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass diese Praktiken im Kontext von Multi-Player-Spielen immer auch einen politischen Aspekt haben, die sich dagegen richten, wie diese öffentlichen Orte zunehmend unter die Jurisdiktion privater Unternehmen fallen. [47]

[68] 

Wie ich an anderer Stelle argumentiert habe, [48] kann Cheating unter bestimmten Umständen als kritische Praxis betrachtet werden, selbst wenn die zu Grunde liegende Absicht nicht darin besteht Kritik zu üben. Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch Jakobsson und Pargman, die darauf hinweisen, dass Cheats die ›Black Box‹, die ein MMOG darstellt, transparenter machen, indem sie auf Momente aufmerksame machen, in denen die Technologie sich nicht so verhält wie sie soll. In diesen Fällen wird ihnen zufolge eine »ambiguity in the laws that govern the world« sichtbar. [49]

[69] 

Als Wissenschaftler besteht unsere Rolle wohl weniger darin, der Technologie Respekt zu erweisen als sie auseinander zu nehmen, Schwächen in ihren Mechanismen aufzudecken und diese Schwächen auszunutzen, um die Black Box der Technologie ein wenig transparenter zu machen. Es kann natürlich nicht meine Aufgabe sein, der Computerspielforschung eine Arbeitsweise vorzuschreiben. Wie ich bereits betont habe, ist die Erarbeitung dieser Methoden eine gemeinschaftliche Aufgabe, und das Resultat wird daher eine Vielfalt von Identitäten und Strategien sein, unter denen Computerspielforscher wählen können.

[70] 

Zusammenfassung

[71] 

Das Ziel dieser Untersuchung bestand darin, Wege aufzuzeigen, mittels derer die Praxis – oder vielmehr die Praktiken – des Mogelns in die Arbeit von Computerspielforschern integriert werden kann. Abgesehen von den offensichtlichen Möglichkeiten Cheats einzusetzen, zum Beispiel als Mittel zur Zeitersparnis, galt mein Interesse insbesondere den Möglichkeiten des Mogelns zum Zweck des Erkenntnisgewinns. Zu diesem Zweck wurden die Bereiche der Spielanalyse, der Genreunterscheidung und der Forschung im Bereich der Computerspielkultur untersucht. In all diesen Beispielen habe ich versucht, auf neue Herangehensweisen aufmerksam zu machen, die durch Cheating eröffnet werden.

[72] 

Im Fall der Spielanalyse hat dies interessante Ergebnisse zu Tage gefördert. Am Beispiel von Deus Ex ist es mir gelungen zu zeigen, dass der Einsatz von Cheats nicht nur das Verständnis eines Spiels vertiefen kann, sondern auch neue Betrachtungsweisen eröffnet hat. Cheating ermöglicht in diesem Zusammenhang nicht nur eine neue Wahrnehmung des Spielraums, sondern auch die Erkenntnis der Art und Weise, auf die Intertextualität und Technizität mit den Prozessen der Spielproduktion und -rezeption verwoben sind.

[73] 

In Bezug auf Spielgenres zeigte sich, dass Cheats als ein Werkzeug betrachtet werden können, das es ermöglicht, die ›Unterseite‹ des textuellen Webmusters von Spielen zu untersuchen. Obwohl Spielgenres sich verhältnismäßig schnell verändern, und neue Genres ständig neu entstehen und wieder verschwinden, lässt sich an den genrespezifischen Cheats eine gewisse Konstanz feststellen, die möglicherweise sogar ausgeprägter ist als die der Muster, die sich an der Oberfläche von Spielen feststellen lassen.

[74] 

Die Untersuchung der Rolle von Cheating in der Computerspielkultur produzierte möglicherweise die interessantesten Ergebnisse dieser unsystematischen Betrachtung. Eine tiefer gehende Studie über den Beitrag, den Cheats bei der Forschung über Spielkulturen zu leisten imstande sind, würde sicher noch weit vielfältigere Möglichkeiten zu Tage fördern. Im Rahmen des hier präsentierten Überblicks war es lediglich möglich einige wenige Punkte hervorzuheben, etwa die große Zahl von Texten, die sich auf Cheating beziehen, und die bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht wurden, sowie die ethischen, ökonomischen und rechtlichen Probleme, die sich aus Cheating in Multi-Player-Settings ergeben.

[75] 

Der wichtigste Punkt besteht meiner Meinung nach jedoch darin, dass es uns die Betrachtung der kulturellen Rolle von Cheats ermöglichte, die politische Rolle dieser Praktiken in den Blick zu nehmen. Als Computerspielforscher sind wir stets in die soziokulturellen Mechanismen des Spiels eingebunden und die Frage, ob es vertretbar ist, Cheats in der eigenen Arbeit einzusetzen wird so zu einer Frage der moralischen Verantwortung. Dadurch wird deutlich, dass Cheats keinesfalls nur ein marginaler Bereich der Computerspielforschung sind, sondern ein wichtiger Indikator der Reife dieses jungen Forschungsgebiets.


[1] 
Von den 483 Personen, deren Adressen während des Zeitraums der Umfrage in die Diskussionsliste eingetragen waren, nahmen 57 an der Befragung teil. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 11,8%. Unter [2] sind die detaillierten Ergebnisse einsehbar.
[2] 
Man unterscheidet gemeinhin zwischen PC-Spielen (Computer Games) und Konsolenspielen (Videogames oder Console Games). Da letztere meist auf proprietärer Technik basieren, sind die Manipulationsmöglichkeiten bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie bei PC-Spielen. Im vorliegenden Text wird der Begriff ›Computerspiel‹ als Oberbegriff für alle elektronischen Spiele gebraucht.
[3] 
Dies hängt sicher zumindest teilweise mit der Semantik des Begriffs zusammen. ›Cheating‹ bedeutet nicht nur ›schummeln, mogeln‹, sondern auch ›[seinen Partner] betrügen‹ (›to cheat on somebody‹), ›[Steuern] hinterziehen‹ (›to cheat on one’s taxes‹) und ›[bei einer Prüfung] abschreiben‹ (›to cheat at an exam‹).
[4] 
Siehe Taylor (2003).
[5] 
Hier erweist sich die im Englischen vorgenommene Unterscheidung zwischen ›Spiel ‹ (Game) und ›Spielen‹ (Play) als sinnvoll, auf die auch Huizinga (2004) aufmerksam macht. Während ein Spiel (Game) eindeutig auf Regeln basiert, zeichnet sich das Spielen (Play) oft gerade dadurch aus, dass Regeln ständig neu geschaffen und wieder abgeschafft werden.
[6] 
Latour (2005: 17).
[7] 
Der Begriff First-Person Shooter (FPS) bezeichnet ein Spielgenre, bei dem der Spieler die Spielwelt aus Perspektive des Protagonisten sieht, und bei dem der primäre Interaktionsmodus darin besteht auf Gegner zu schießen. Beispiele für First-Person Shooter sind Doom, Quake, CounterStrike und Halo.
[8] 
Siehe Kücklich (2007a).
[9] 
Aarseth (2003: 4).
[10] 
Siehe Kücklich (2001).
[11] 
Computerspiele, insbesondere Single-Player-Spiele, haben zahlreiche Konventionen aus dem Spielfilm übernommen, darunter auch die Kennzeichnung des Endes durch die Auflistung der ›Credits‹.
[12] 
Patches sind Programmbestandteile, die der Behebung von Fehlern dienen, die erst nach Auslieferung eines Spiels festgestellt wurden.
[13] 
Die Ludologen vertreten einen rein formalen, strukturalistischen Ansatz bei der Analyse von Spielen, und betrachten die Untersuchung aus anderen Perspektiven oft als eine Form des ›theoretischen Imperialismus‹. Siehe Kücklich (2007b).
[14] 
Siehe Aarseth (1997: 78).
[15] 
Die Zusammenziehung von Game und Play zum Begriff Gameplay bezeichnet die Vermittlung zwischen dem Regelwerk eines Spiels und dem spielerischen Ausloten der Flexibilität dieses Regelwerks.
[16] 
Für eine vollständige Liste aller Cheats für die PC-Version von Deus Ex siehe [5].
[17] 
Siehe Kücklich (2004).
[18] 
Vgl. Salen and Zimmerman (2004).
[19] 
Dass dies auch umgekehrt funktioniert, zeigt eine Anekdote, die Lee Sheldon, der Designer des Adventure-Spiels The Riddle of Master Lu, im Rahmen der Veranstaltung Game Focus Germany am 15. Februar 2007 zum Besten gab. Sheldon hatte in das Spiel gegen den Willen seines Teams einen Irrgarten eingebaut, der den Spieler vor große Herausforderungen stellte. Nach Auslieferung des Spiels stellte Sheldon fest, dass die Programmierer hinter seinem Rücken einen Cheat eingebaut hatten, der es dem Spieler erlaubt, den Irrgarten zu umgehen. Der Code für diesen Cheat lautet schlicht und einfach »Lee«.
[20] 
In 3D-Spielen bezeichnen Texturen Grafikdateien, die für die Darstellung von Oberflächenstruktur und -beschaffenheit auf die geometrische Struktur der Spielwelt appliziert werden. Dies ermöglicht es, das Aussehen der Spielwelt durch geringfügige Änderungen im Programmcode drastisch zu verändern.
[21] 
Siehe Kücklich (2001).
[22] 
In diesem Modell bezieht sich der Begriff ›Interaktivität‹ auf die Frequenz der Spieler-Interaktionen, während der Begriff der ›Indeterminanz‹ das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten beschreibt. Ein schnelles Actionspiel wie Space Invaders hat daher einen hohen Grad an Interaktivität, aber nur einen geringen Grad an Indeterminanz.
[23] 
In Computerrollenspielen werden Charaktere durch numerische Werte repräsentiert. Diese Werte geben Aufschluss über die physischen und psychischen Charakteristika einer Figur sowie über seine Erfahrung und seine Fähigkeiten. Siehe hierzu z.B. Carr u.a. (2006).
[24] 
Anders als rundenbasierte Spiele laufen diese Spiele in ›Echtzeit‹ ab, d.h. die menschlichen und computergesteuerten Spieler agieren nicht abwechselnd, sondern gleichzeitig. Bei komplexen Echtzeit-Strategiespielen mit mehreren Handlungsschauplätzen muss der Spieler daher unter Zeitdruck strategische und taktische Entscheidungen fällen.
[25] 
Zitiert in Wayner (2003).
[26] 
Bowyer (1982).
[27] 
Siehe Schaffer (1999).
[28] 
Bowyer (1982: 297)
[29] 
Siehe Consalvo (2005a) und Kimppa/Bissett (2005).
[30] 
Siehe Zetterström (2005).
[31] 
Siehe Baughman (2001) und Yan (2005).
[32] 
Vgl. Consalvo (2005a).
[33] 
Für diesen Ausdruck, ein Kompositum aus ›Grief‹ (›Kummer, Gram, Leid‹) und ›Play ‹ gibt es im Deutschen keinen äquivalenten Begriff. Das Nomen Agens ›Griefer‹ wird mittlerweile auch im Deutschen für Spieler verwendet, deren Ziel darin besteht, anderen Spielern den Spaß am Spiel zu nehmen.
[34] 
Siehe Foo (2004), Foo/Koivisto (2004), Lin (2005), Myers (2005) und Smith (2004).
[35] 
Vgl. Foo (2004).
[36] 
Wright et alii (2002).
[37] 
Exploits bezeichnen Cheats, die eine Schwäche im Spieldesign oder im Programmcode ausnutzen.
[38] 
Anders als bei vielen anderen First-Person-Shootern führt der Tod einer Spielfigur bei CounterStrike dazu, dass der entsprechende Spieler für den Rest der Runde aussetzen muss.
[39] 
Wright et alii (2002: 9)
[40] 
Zetterström (2005).
[41] 
Ibidem, 35.
[42] 
Ibidem, 41.
[43] 
Siehe Kuo[7].
[44] 
Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPs).
[45] 
Zetterström (2005: 50).
[46] 
Siehe Humphreys (2004).
[47] 
Siehe Balkin (2006).
[48] 
Kücklich (2007a).
[49] 
Vgl. Jakobsson/Pargmann (2005).